Schritte im Sand

Die KjG von der Zukunft her denken- Interview mit dem neuen Bundesleiter Simon Schwarzmüller

Simon Schwarzmüller

Simon Schwarzmüller ist vierundzwanzig Jahre alt und der neue Bundesleiter der KjG. Der Weg, der ihn hierhergeführt hat, begann in der Pfalz, in einem kleinen Ort. Hauenstein. Es ist ein Dorf mit rund 4000 Einwohner*innen. Bekannt ist es für seine Schuhe. In Hauenstein steht das Deutsche Schuhmuseum …

…und es gibt eine KjG Pfarrei-Gruppe …
Simon: Genau. Ich bin als Kind schon damals in die KjG gekommen. Eine Großaktion von damals war der Ferienspaß. Gibt’s immer noch. Eine Woche in den Sommerferien: Spiel, Spaß, Spannung, Action mit anderen Kindern im gleichen Alter. Da habe ich erst als Teilnehmer mitgemacht und bin dann später auch als Leiter dazugekommen. 2014 wurde ich Pfarrleitung in Hauenstein und habe das Ganze dann hauptverantwortlich organisiert – bis ich 2017 zur Diözesanleitung gewählt wurde.

Als du als Kind in der KjG warst, was waren denn da so die Nöte und die Interessen von dir und deinen KjG-Kumpel*innen?
Simon: Als Kind ging es vor allem erstmal darum, einen Ort zu finden, an dem ich mit meinen verschiedenen Freund*innen zusammenkommen und dort zusammen gemeinschaftliche Aktionen erleben konnte. Das war in der Gruppenstunde und auch in den Ferienfreizeiten der Fall. Natürlich stand da der Spaß im Vordergrund. Aber die KjG war auch ein Ort, wo es für uns Kinder Raum gab, uns einfach mal auszuprobieren.

Es ist auch ein Raum gewesen, um eine Art von Religion oder Bezogenheit zu Gott auszuleben. Bist du über deine erste heilige Kommunion zur KjG gekommen?
Simon: Ich war vorher schon in der KjG. Ein Freund hat mich in die Gruppenstunde mitgenommen. Durch die Kommunion bin ich dann aber auch noch zu den Messdienern gekommen und die Messdiener und die KjG sind bei uns eng verknüpft.

Ihr wart rein analog unterwegs. Digitalisierung oder so hat, glaube ich, noch keine Rolle gespielt …
Simon: Das auf jeden Fall. Also, es war so: Wir haben uns einmal die Woche getroffen zur Gruppenstunde und natürlich gab es die Sommerfreizeiten. Da gab es noch kein WhatsApp oder E-Mail-Newsletter, das ging alles analog.

Merchandising habt ihr aber gemacht und du hast gesagt, ihr habt was mit Dubbegläsern gemacht. Ich persönlich komme aus dem Rheinland und Dubbe kenne ich gar nicht. Was sind denn Dubbe?
Simon: Wir haben ganz verschiedene Merchandising-Artikel gemacht und eins davon waren z.B. die KjG-Dubbegläser. Das ist ein Produkt aus der Pfalz oder vor allem in der Pfalz bekannt. Es ist eine Art Weinglas, worin kleine runde Einkerbungen sind, um es besser halten zu können. Das haben wir mit dem KjG-Seelenbohrer bedruckt.

Du bist, wie erwähnt, ein Pfälzer. Was bringst du denn aus der Pfalz heraus auf die Bundesebene mit? Was ist pfälzisch?
Simon: Ich würde sagen, im Vergleich mit NRW, wo auch die Bundesstelle in Düsseldorf ist, ist die Pfalz doch sehr ländlich geprägt, also viele kleinere Orte. Es gibt viele KjGs in eher ländlicheren Gebieten. Das ist eine andere Arbeit als in einer größeren Stadt oder auch in einem sehr städtischen Gebiet allgemein.

Was würdest du sagen: Gibt es spezielle Problematiken z.B. für die DV-Ebene? Oder gibt es eine spezielle Problematik für die Pfarrei-Ebene? Oder ist das von der Region abhängig?
Simon: Also ich glaube, gerade aktuell gibt’s schon ein Thema, was uns alle beschäftigt. Und das ist die Corona-Pandemie und wie Jugendarbeit in und nach der Pandemie gut funktionieren kann. Ich merke bei vielen Ortsgruppen, dass da die Fragestellung ist: „Wie kann es weitergehen bei uns, in den Gruppenstunden, in den Freizeiten?“ Ich erlebe jetzt gerade, dass sich viele die Mühe machen und Freizeiten planen, auch mit der eventuellen Unsicherheit, dass diese ausfallen. Sie sagen einfach: „Wir möchten gute Angebote für Kinder und Jugendliche leisten.“ Das motiviert mich! Einfach zu sehen, dass es da so viele Bestrebungen gibt. Ich erlebe, dass es auch ein größeres Thema ist, wie es mit den Schulungen weitergeht, eine Aufgabe, die oft von den Diözesanverbänden übernommen wird. In den letzten anderthalb Jahren waren größtenteils nur digitale Schulungen möglich und es wurde sehr viel innovativ überlegt und konzipiert, wie man diese im digitalen Raum umsetzen kann. Aber ich glaube, was auch hängengeblieben ist, ist, dass so einfach keine Schulung in Präsenz ersetzt werden kann.

Welches Anliegen hast du in Bezug auf Schulungsarbeit?
Simon: Ich würde gerne die Schulungsarbeit im Bundesverband noch ein bisschen stärker in den Blick nehmen. Schulungsarbeit ist ein sehr großes Thema in vielen Diözesanverbänden und ich denke, da kann es für die KjG gewinnbringend sein, wenn wir voneinander profitieren, uns gegenseitig austauschen: Wie läuft Bildungsarbeit in den unterschiedlichen Diözesanverbänden? Und gerade, wenn dann so eine Situation kommt wie jetzt diese Pandemie, kann man auch sehr schnell voneinander lernen. Ich denke, in diesem Bereich können wir uns weiterentwickeln und uns bundesweit vernetzen, weil die Schulungsarbeit ein sehr wichtiges Thema innerhalb der KjG ist, zum Schutz der Gruppenleiter*innen und der Kinder bzw. Jugendlichen.

Ich stelle mir deinen Weg durch die KjG gerade wie so ein umgekehrter Wasserfall vor: Pfarrei-DV-Bundesebene. Was hast du denn von der Pfarrei auf die nächste Ebene mitgenommen? Was bringst du jetzt aus der DV-Ebene mit?
Simon: Also einerseits, was mein Feuer für die KjG richtig entfacht hat, war einfach, diese Gemeinschaft zu erleben. Das hat begonnen in der Pfarreiebene, und das war auch etwas, was ich auf die KjG-Diözesanebene mitgebracht habe: Das Ziel, auch im Diözesanverband diese Rahmenbedingungen, Veranstaltungen und Angebote zu schaffen, wo junge Menschen Gemeinschaft erleben können. Von meiner Zeit als Diözesanleitung bringe ich die bundesweite Perspektive und Vernetzung mit. Die KjG ist ja ein Verband, der deutschlandweit aktiv ist. Es gibt Gruppen, die da sehr aktiv sind in dieser Verbandsstruktur und es gibt andere Gruppen, die sich eher auf ihre Arbeit vor Ort konzentrieren. So kommt es auch vor, dass wir als KjG-Diözesanebene oder Bundesebene nicht alle KjGler*innen, die vor Ort Mitglied sind, erreichen. Das hatte ich damals in meiner KjG-Zeit auch selbst erlebt, bevor ich Pfarrleitung wurde. Es war ein anstrengender Prozess, da die Kontakte zu knüpfen und wiederaufzubauen. Gleichzeitig habe ich auch gemerkt, dass das einen großen Vorteil mit sich bringt. Das war ein Erlebnis, das mich geprägt hat und das ich jetzt mitbringe. Auf Bundesebene bedeutet das, dass wir daran arbeiten müssen, dass auch diese innerverbandliche Vernetzung sehr gut funktioniert.

Die hat zum einen auch mal nicht nur innerverbandlich, sondern sogar auch mit dem BDKJ sehr gut funktioniert: mit der 72-Stunden-Aktion. Da warst du auch dabei. Das war analog – vor Ort. Die Pandemie hat uns ins Digitale gezwungen mit interessanten Nebeneffekten …
Simon: Wir im Diözesanverband Speyer haben zu Beginn der Pandemie relativ schnell unser digitales Format „KjG vs. Corona“ eingeführt. Das waren monatliche Vernetzungs-, Spiele- und Austauschangebote für Menschen aus den Pfarreien. Und da haben wir gemerkt, wir erreichen einfach plötzlich ganz viele andere Menschen, die wir vorher nicht erreicht haben. Überregionale KjG-Arbeit ist ja auch mit räumlicher Distanz und Fahrtzeiten verbunden. Diese Mobilität muss man einerseits zeitlich, aber auch dann generell erst mal mitbringen. Da haben wir gemerkt, dass der digitale Raum auch Möglichkeiten bietet, wenn man sich mal schnell zuschalten kann zu einem Abendtermin. Da haben plötzlich KjGler*innen aus ganz verschiedenen Regionen teilgenommen, die auch außerhalb des Bistums oder sehr weit entfernt in Deutschland gewohnt haben, aber immer noch mit der KjG verbunden sind. Es ist ein Learning aus der Pandemie für uns gewesen, dass wir diese Möglichkeit durchaus auch noch weiterhin nutzen können.

Das Mitmachen in der KjG, was ist das für dich? Eine kulturelle Teilhabe, eine religiöse Teilhabe, eine politische Teilhabe für junge Leute?
Simon: Ich denke, es kommt alles zusammen und ich glaube, die KjG wächst auch mit einem selbst mit. So war es zumindest bei mir. Als ich als Kind in die Pfarrei, die Gruppenstunde, gekommen bin, da ging es vor allem um die Gemeinschaft, um Spiel, Spaß, Freund*innen kennenlernen und natürlich auch die religiöse Komponente. Sei es als Impuls bei Freizeiten oder im Gottesdienst oder in der Gruppenstunde. Aber, je älter ich geworden bin, desto eher habe ich mich dann an der Diözesanebene orientiert und auch am Bundesverband. Da merkt man dann, die KjG ist ja auch ein sehr politischer Verband mit klaren Positionen. Die KjG ist für mich ein Ort, um sich selbst eine Meinung zu bilden und dann eben diese auch zu vertreten zu lernen.

Jetzt hast du die Chance in der Bundesleitung einiges mitzugestalten. Du hast zwei Schwerpunktthemen mitgebracht. Das eine kinder- und jugendpolitische Vertretungsarbeit …
Simon: Das Thema liegt mir schon sehr lange am Herzen. Wir hatten ja gerade schon darüber gesprochen: Was ist KjG? Wie politisch ist die KjG? Das große politische Thema, womit ich mich als erstes in der KjG auseinandergesetzt habe, war das Thema Mitbestimmung für Kinder und Jugendliche und z.B. auch das Thema Wahlrecht. Da haben wir als KjG ja die Forderung Wahlalter ab 0, das heißt also Wahlrecht ab der Entscheidung, dass ich mich dazu reif fühle. Das ist ein Thema, das auch immer wieder in der gesellschaftlichen Diskussion aufkommt. Gerade vor zwei Jahren im Zuge der Fridays for Future Demonstrationen wurde es groß diskutiert, als allen deutlich wurde, dass Kinder und Jugendliche durchaus eine politische Meinung haben. Dass weiterhin Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren aufgrund ihres Alters z.B. systematisch von Wahlen ausgeschlossen sind oder auch in anderen Bereichen einfach nicht entsprechend berücksichtigt werden, hat man jetzt auch während der Corona Pandemie gemerkt. Das ist etwas, was ich gerne ändern möchte und in diesem Bereich eine politische Stimme für Kinder und Jugendlichen sein möchte.

Die andere Sache ist die Digitalisierung.
Simon: Genau, darüber haben wir ja auch schon gesprochen. Das ist natürlich einerseits ein gesamtgesellschaftliches Thema in Deutschland und der ganzen Welt. Es sind auch neue gesellschaftliche Fragestellungen, die dadurch aufgeworfen werden, auch netzpolitische Fragestellungen. Aber Digitalisierung ist nicht nur gesellschaftlich zu betrachten, sondern auch für uns als KjG und als Verband ein Thema. Ich glaube, da sind wir aktuell schon auf einem sehr guten Weg und da auch durchaus vielleicht der Gesamtgesellschaft ein bisschen voraus. Aber wir müssen uns als Verband auch stetig weiterentwickeln und die Möglichkeiten nutzen, die sich dadurch bieten.

Als KjG müssen wir aus der Zukunft denken, auch was unsere Mitglieder angeht. Was bedeutet das für dich? Aus der Zukunft denken?
Simon: Wir kriegen das ja in der KjG vielerorts mit. Wir haben hier eine Veranstaltung, wir haben eine Gruppenstunde und wir erreichen bestimmte Personen und das passt ja. Aber ich glaube, es gibt auch viele Menschen, die sich durch das Format oder durch die Art und Weise, wie die Veranstaltungen gestaltet werden, nicht angesprochen werden. Ich denke, da müssen wir unseren Blick weiten und schauen, wie wir auch Personen ansprechen können, die jetzt nicht zu der standardmäßigen Klientel der KjG gehören. Wir sollten uns als KjG öffnen und ein Ort sein für alle Kinder oder Jugendliche, egal woher sie kommen, egal welchen Geschlechts, mit und ohne Förderbedarf.

(2021 / Das Interview führte die Referentin für Öffentlichkeitsarbeit Babette Braun)
*Anmerkung: Das Interview wurde im Juli vor der Flutkatastrophe 2021 geführt